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Leben mit der Ausgangssperre

 

Vor drei Wochen, für den Blog-Artikel vom 01.03, tanzten meine Finger noch spielerisch leicht über die Tastatur. Nun habe selbst ich den Ernst der Lage erkannt.

 

Freunden von uns, die ihr neues Wohnmobil am 12. März in Süddeutschland abholten und in nur drei Tagen nach Mallorca überführten, kamen Tausende von Wohnmobilen entgegen, die ihr Winterquartier in Südspanien und Portugal widerwillig verlassen hatten und nach Norden eilten.

 

 

Wohl dem, der sein Fahrzeug vor dem Haus auf dem eigenen Grundstück hat, denn jetzt hat man Zeit zur Komplett-Überholung, Pflege und Verbesserung. Wie so viele andere können wir das leider nicht, wir dürfen nicht zu Maggie fahren, weil das als vermeidbares Privatvergnügen gilt. Wohl zu Recht, denn bei einem Unfall wäre womöglich ein Notarztwagen vonnöten und vielleichtsogar  ein Bett im Krankenhaus. Menschen, Räume und Dinge also, die dringend anderweitig benötigt werden.

 

In diesen Tagen rächen sich bitter die enormen Kürzungen im Gesundheitswesen im Verlauf des letzten Jahrzehnts und die Privatisierung vieler städtischen Krankenhäuser. Es fehlt an allem, vor allem an gut ausgebildetem (und somit nicht billigem) Pflegepersonal, worüber deren Verbände schon seit langem klagen. 

 

Ausnahmezustand in Spanien

Seit einer Woche haben wir in Spanien Alarmstufe 1 (so etwas wie die Notstands-gesetze) und dürfen nur  noch einzeln aus dem Haus 

 

- zum Einkaufen ins nächstgelegene Geschäft

- zum Arzt oder in die Apotheke

- zur Arbeit mit Bescheinigung des                          

   Arbeitgebers, die man bei sich führen muss

- um alleinstehenden alten oder kranken                     

   Menschen zu helfen

- um den Müll runterzubringen und

- den Hund auszuführen

 

Es kursieren eine Menge Witze und Fotos von völlig erschöpften Hunden, die nacheinander mit jedem Familienmitglied und der gesamten hundelosen Nachbarschaft Gassi gehen müssen. Oder die von ihren Besitzern stundenweise vermietet werden.  

 

Die Parks wurden schon vor mehr als einer Woche verschlossen, Bars, Restaurants, alle Geschäfte, die nicht der Grundversorgung dienen. Also kein Extra-Gang mehr zum Bioladen oder Fischmark, keine Familientreffen oder Essen mit Freunden mehr für die so geselligen Südländer. In großen Teilen Deutschlands geschieht das - noch - freiwillig.

Dafür raucht das Netz und steigen Qualmwolken aus der digitale Welt, während die analoge brachliegt.

 

Wie gut, dass Paare mit Wohnmobil es gewohnt sind, sich wenig Raum zu teilen! Da ist die Gefahr der häuslichen Gewalt geringer. Die Frage ist nur: Wird es in weniger als einem Jahr mehr Scheidungen oder mehr Babies geben?

 

 

Sich fit halten und die Abwehrkräfte stärken

unser Balkon ist zur Straße hin leicht abschüssig, deshalb die Holzkeile
unser Balkon ist zur Straße hin leicht abschüssig, deshalb die Holzkeile

 

Wie die meisten unserer Freunde und Bekannten hat Gabriel tagelang den Keller gesichtet, ausgemistet und geputzt (ich die Schränke in der Wohnung). Bei der Gelegenheit hat er das Teil  gefunden, das ihr auf den Fotos seht, und ein bleiernes Uraltfahrrad darauf montiert. Weil ich mich weigerte, im fensterlosen dunklen Keller zu strampeln, haben wir es auf den Balkon geschafft und nutzen es jetzt beide. Auf der anderen Straßenseite sehen wir Nachbarn mit Liegestützen oder Pilates-Übungen auf den Balkonen.

 

Wenn ich den Müll runterbringe und auf dem Weg zum ca. 150 m entfernten Container frische Luft schnappe (bei dem wenigen Autoverkehr ist sie jetzt wirklich frisch), verzichte ich danach auf den Fahrstuhl und erklimme die Treppen bis zu unserer Wohnung im  4. Stock. Ich schnaufe jeden Tag weniger!

 

 

 

Allabendlicher Applaus vom Balkon 

Jeden Abend um 20:00 Uhr stehen Nachbarn und wir auf dem Balkon und klatschen, bis die Hände brennen. Wir applaudieren dem Personal im Gesundheitswesen, das die Grenze zur körperlichen und psychischen Erschöpfung schon seit Tagen überschritten hat, und allen anderen, die den Betrieb aufrechterhalten. Auch den Polizisten, die in 2 Wagen mit Tatütata in leergefegte Dorfstraßen fahren, aussteigen und die Anlieger mit Gitarre, Gesang und Tanz unterhalten. Laienhaft, aber absolute Klasse!

 

Zu unseren Helden gehören auch die Angestellten im Supermarkt, die unermüdlich die Regale auffüllen. Nach 1 Woche Ausgangssperre ist es vorbei mit den Hamsterkäufen, es gibt wirklich alles und die Mitnahmemengen sind begrenzt. 

 

Plötzlich unterhalten sich Menschen über die Straße hinweg von Balkon zu Balkon und lernen sich kennen. Wie zu jeder Zeit und in jedem Land kommen leider auch Idioten aus dem Loch gekrochen, die alle Regeln missachten und damit die Schwächsten der Gesellschaft gefährden. Andere zeigen unerwartete Solidarität, indem sie ihre Putzfrau anrufen und sie nach der Bankverbindung fragen, das wöchentliche Geld überweisen und danach selber putzen. 

 

Ich schließe mich der neuen Grußformel an: 

Bleibt zuhause und bleibt gesund!

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Kommentare: 3
  • #1

    Rita (Sonntag, 22 März 2020 17:02)

    Liebe Anna,
    wir, ( mein Mann Hans-Joachim (68) und ich (64), sind seit ein paar Monaten stolze Besitzer eines Wohnmobils !
    Wie die Jungfrau zum Kind sind wir im letzten Herbst dazu gekommen. (Mein Mann ist ein Spontanentscheider ) .
    Freude, Ängste, und viele andere Emotionen begleiteten mich in den letzten Wochen!
    Drei kleinere Reisen mit mittleren Katastrophen haben wir absolviert, und nun bin ich infiziert für mehr.... aber Corona hält uns im Griff und so ist Gedult und Hoffnung angesagt.
    Was ich eigentlich sagen wollte, Ihr Buch hat mich amüsiert und bestärkt!
    Ich habe es verschlungen, weiter so !!!
    Bleiben sie und Ihr Gabriel gesund und wünschen wir Allen das diese schlimme Zeit bald vorüber geht.
    Herzliche Grüße aus Ulm
    Rita Deubel

  • #2

    Gislind (Sonntag, 22 März 2020 18:15)

    Liebe Anna,
    wie auch Rita habe ich ihr Buch bereits zum 2ten Mal gelesen (auch wenn wir kein Wohnmobil haben), es ist sehr schön erfrischend und realistisch geschrieben- vielen Dank dafür. In Deutschland haben wir nun Kontaktsperre, nicht mehr als 2 Leute zusammen auf der Straße oder eben Familien (dann auch mehr als 2 Pers.) Freunde von uns sind noch kurz vor weiteren Maßnahmen in deren Haus an die Costa Blanca gefahren, wie ich das finde- dazu sage ich hier lieber nix (besonders wo sie krank ist). Ich wünsche Ihnen und Ihrem Mann Gesundheit und mögen Sie die Zeit Corona-frei überstehen.
    Herzliche Grüße aus Burgdorf (Hannover) Gislind

  • #3

    Anna Dross (Sonntag, 22 März 2020 18:58)

    Liebe Rita und liebe Gislind,

    Ausnahmsweise erlaube ich mir, Ihnen beiden gleichzeitig zu antworten mit einem
    Herzlichen Dankeschön für die wohlwollenden Kommentare!

    Heute wurde unsere Ausgangssperre um weitere 2 Wochen verlängert, also insgesamt noch mindestens 3.
    @Gislind: Dass kranke Menschen jetzt noch ihr Land verlassen, um ein anderes zu belasten, finde ich allerdings auch unglaublich verantwortungslos!

    Liebe Grüße nach Burgdorf und Ulm auch an Ihre Partner,
    bleiben Sie gesund und geduldig und voller Hoffnung

    Herzlich
    Anna Dros mit Gabriel